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Freitag, 24. August 2012

Lola


Lola
Deutschland 1981
Regie: Rainer Werner Fassbinder
Darsteller: Barbara Sukowa, Armin Mueller-Stahl, Mario Adorf, Matthias Fuchs u.a.

Auch abseits seiner politischen Komponente, welche hier in eine Fassade aus grellsten Farben eingehüllt und mit stets zugrunde liegender Häme präsentiert, ist Lola bereits als reine Filmerfahrung eine Feier, ein Fest für alle Sinne, wie man es von Fassbinder eigentlich kaum mit dieser - vermeintlichen!, selbstverständlich - Leichtigkeit kaum erwartet hat. Man fühlt sich ein wenig an den verwegenen Blick dieses großartigen Mannes am Schluss von seinem ersten Kurzfilm (Das kleine Chaos) erinnert, wenn er auf die Frage, was er denn mit dem gestohlenen Geld anfangen möchte, grinsend antwortet: Ich? Ich werde ins Kino gehen. Lola ist Kino, in erster Linie ein Werk der herrlichen Übertreibung, mit strahlenden Farben, markanten Figuren und messerscharfen Dialogen. All das ist ein Genuss und Fassbinders Kritik an und Satire auf das Wirtschaftswunder kommt nicht als Faustschlag, sondern vielmehr als sarkastisches Geflüster zwischen der Schönheit der Bilder und Zeilen. Die Tragödie wird nicht präsentiert, sie wird übermalt, die Verwegenheit des Geschehens beinahe verherrlicht, der Humor ist allgegenwärtig, doch er lacht selten über, er lacht zumeist mit. Lola erzählt von bereits Geschehenem und deswegen ist der Film nicht erfüllt von Wut wie beispielsweise Die dritte Generation, eine weitere überspitzte Satire aus Fassbinders Feder, vielmehr ein kicherndes Kopfschütteln für die einen und ein mildes Lächeln für die anderen Beteiligten. Das alles mit herausragenden Darstellern - Barbara Sukowas (Seelen)Striptease bei "Capri Fischer" als Eskalation und Selbsterkenntnis zugleich, Mario Adorfs schmierig-freundliche Art als ewiger hämischer Sieg, Armin Mueller-Stahls Ambition und Konsequenz als Kampf gegen Windmühlen - und am Ende sind alle glücklich, auch wenn manche das nur sagen. Ganz, ganz große und bunte Unterhaltung mit dem nötigen fiesen Hintersinn. 

8

Die Abenteuer von Tim und Struppi - Das Geheimnis der Einhorn


The Adventures of Tintin
USA 2011
Regie: Steven Spielberg
Darsteller/Sprecher: Jamie Bell, Andy Serkis, Daniel Craig u.a.

Eins vorweg: Mit den Comics und der Zeichentrickserie kenne ich mich gar nicht aus, meine Bewertung ist also frei von allen möglichen Fanerwartungen. Ich erinnere mich allerdings, dass ich früher (noch in Russland) mal die ersten Folge der/einer Zeichentrickserie von Tim und Struppi gesehen habe, in der es um irgendetwas mit Konservendosen mit Krabben ging, und zwar mehr als nur einmal. Ich meine, ich fand sie ganz toll, habe aber - warum auch immer - keine andere Folge jemals gesehen. Schade. Aber jetzt habe ich zumindestens durch diesen Film ein wenig zu der Geschichte gefunden. 

Technisch ist das Ganze selbstverständlich perfekt, keine Frage. Einer dieser Filme, die mich darüber jubeln lassen, dass ich vor knapp einem Jahr nicht zu geizig gewesen bin, einen Hunderter mehr für ein Laptop mit Blu-Ray-Laufwerk ausgegeben zu haben. Das Geheimnis der Einhorn ist oftmals pure Bildgewalt, es gibt dem Genre entsprechend detailreiche Städte westlicher wie nahöstlicher Bauart, unendlich scheinende Wüsten und Ozeane und gerne auch beeindruckende Flammeninfernos zu bewundern, stets mit Action, welche positiv formuliert supermegaübertriebengeil ist und negativ formuliert ein wenig die Story erstickt. Manch einmal habe ich mir gewünscht, über die Aufnahmefähigkeit eines Supercomputers zu verfügen und die entsprechenden Szenen in Ultrazeitlupe zu betrachten, um das Ausmaß des inszenierten Chaos halbwegs wahrnehmen zu können. Das ist alles herrlich überwältigend, aber für mich blieben bei der riesigen Show die Teilnehmer etwas zu fern, was die Nachwirkung leider schmälert. 

Ich fühlte mich ein wenig an Rango erinnert, muss ich zugeben: Beide Animationsfilme widmen sich mit viel Vergnügen einem im heutigen Kino eher vergessenem Genre (Western und Abenteuerfilm) und zelebrieren und übertreiben die typischen Motive und auch Klischees dieser mit viel Slapstick (den ich in beiden Fällen gut fand) und doch genug Ernsthaftigkeit (beide Filme sind für eine FSK 6 recht brutal), dass ich teils nur vor Vergnügen quietschen kann. Wenn Das Geheimnis der Einhorn auch nicht ganz die wilde Verwegenheit der Chamäleon-Westerngroteske erreichen kann, so reiht auch er sich in die Reihe der Filme ein, welche klassische Motive aus der Vergangenheit in eine hochmoderne Optik verpacken und zumindestens mir so einige herzhafte Lacher entlocken können (und ich lache eigentlich eher selten bei Filmen). 

Ein wenig fehlt es dem Film leider an Nachhall. Vielleicht ist das bei Tim und Struppi-Fans anders (wobei sich diese auch in zwei Lager zu spalten scheinen), aber so sehr ich auch eine angedeutete Fortsetzung sehen möchte, so wenig schwirrt der Film in meinem Kopf herum. Das ist etwas schade, aber als reines Erlebnis mit Nostalgiefaktor funktioniert das Werk prächtig, vor allem auch weil man den Machern ihre eigene Freude an dem Film ansieht, so grenzenlos übertrieben und fröhlich-bombastisch ist er in seinen besten Momenten. Zudem liefert Daniel Craig einen ganz tollen Job beim Vertonen des Bösewichtes ab und sorgt damit für den nötigen Schwarzstrich in dem überbunten Reigen. Tolle Unterhaltung mit wahnwitziger Action, die ich unbedingt mal bei einem Filmabend zeigen muss. 

7

The Social Network


The Social Network
USA 2010
Regie: David Fincher
Darsteller: Jesse Eisenberg, Andrew Garfield, Justin Timberlake u.a.

Arroganz führt zum Schluss führt zu Hass führt zu Rache. Menschen mit Menschenbewertungsdrang, kriegen eine Plattform, freuen sich. Der erste Schritt ist getan, das erste Ziel: Freier Zugriff auf Gesichter. Wir könnten natürlich auch Pornos schauen, aber hey: Diese Gesichter sind uns ja bekannt, wir sehen sie täglich, hier sind sie, jederzeit abrufbar, bewertbar. Menschen auf ein Foto reduziert, doch die Zukunft naht: Reduziere dich selbst auf das, was dir am wichtigsten. Weiter: Rache, große Rache schafft Bekanntheit, Bekanntheit schafft Kontakte, Kontakte schaffen Möglichkeiten. Diebstahl der Zukunftsbringer, klassisch - früher: Technik, Gerät, Maschine, nun: Konzept, Vision, Idee. Ewige Gespräche, später, wer, was und wo gesagt, gefragt, vorgeschlagen. Vernichtung nicht durch Waffen, sondern durch PR. Design ist keine Frage des Geschmacks, Coolness ist keine Frage des Geschmacks. Die Zahnräder drehen sich, die Zukunft deutet sich an. Digitaler Steckbrief, Steigerung der Informationsgeschwindigkeit, keine unnötigen Fragen, alles auf einen Blick. Nicht der gläserne Mensch - der sich entblößende Mensch. Geld größer Freundschaft (wie immer), dafür neuer Begriff: Digitale Freundschaft. Das Collegeleben für alle, im Internet. Kleinste Fragen prägen unsere Kommunikation, kleinste Vorschläge unsere täglichen Beschäftigungen. Das ist die Zukunft und sie beginnt vorgestern und wir sind ein Teil von ihr. Meine Chronik ist mein Tagebuch. Meine Vergangenheit in alle Ewigkeit. Jede Vergangenheit vor meinen Augen. Im Anfang cool, zum Schluss mehr als cool: Unersetzlich. Das ist die Zukunft, die aus Rache geboren. Das ist das Paralleluniversum von jenen, welche in ihrem eigenen die Wände nicht akzeptierten. Am Ende braucht es kaum Worte, ein paar Klicks und immer wieder
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8

Mittwoch, 15. August 2012

Forbidden Zone (Totaler Sperrbezirk)


Forbidden Zone
USA 1982
Regie: Richard Elfman
Darsteller: Hervé Villechaize, Susan Tyrell, Gisele Lindley, Marie-Pascale Elfman, Danny Elfman u.a

Das habe ich bislang noch nicht erlebt, dass der ganze Kinosaal nach dem Film applaudiert hat. Zugegeben, es waren vielleicht ein Dutzend Leute und ohnehin nur jene, die sich von solcher Ausprägung des Begriffs "Filmkunst" wirklich begeistern lassen können, aber dennoch, der Film hatte es verdient. Der Film: Ein Ultra-Low-Budget-Fantasy-Gaga-Trash-Musical mit der Musik von Danny Elfman (genau der, ihr elenden Burtoniasten!), inszeniert von seinem Bruder Richard Elfman, mit wundervollen 80's-Animationen zwischendurch, einer herrlich bescheuerten Story, zahlreichen handgemachten Pappkulissen und einer von verwegener Freude am Wahnsinn regierten Stimmung, für die mir nur ein gutes beschreibendes Wort einfällt: HILARIOUS!

Die Geschichte mutet an wie eine Mischung aus Rocky Horror Pisture Show und Alice im Wunderland: Die Familie Hercules (die Tochter mit überfranzösischem Akzent und passenderweise "Frenchy" genannt, der Opa mit Doppelrasputinbart und am besten angebunden zu halten, der Sohn deutlich älter als die Eltern und mit Propellerkappe - mit der er tatsächlich fliegen kann!) zieht in ein zuvor von einem Drogendealer bewohntes Haus, in dessen Keller sich der Zugang zur "Sixth Dimension" AKA "Forbidden Zone" befindet. Das Töchterchen ist natürlich neugierig, geht runter, rutscht auf einer Bananenschale aus und landet im Königreich von King Fausto, einem Zwerg mit großen Gelüsten nach der Neuen. Das findet Queen Doris gar nicht gut und versucht, Frenchy loszuwerden. Ihre Familie sowie ihr Freund Squeezit (der sich, wieso auch immer, wie ein Huhn benimmt) eilen zur Rettung und sorgen für ordentlich Chaos.

Aufgeschrieben sieht das alles noch zu normal aus. Zwischendurch wird in der Schule noch das Alphabet auf die herrlichste Art gesungen, wie man ein Alphabet nur singen könnte, König und Königin speisen unter einem lebendigen Kerzenhalter und der treuste Diener der Königin ist ein Froschmensch. Forbidden Zone braucht auch gar nicht als Parabel oder Satire oder sonstwas halbwegs Intelligentes betrachtet zu werden, mehr als ein durchgeknalltes Selfmade-Musical steckt da höchstwahrscheinlich nicht drin. Aber: Es ist das verdammtnochmal durchgeknallteste Selfmade-Musical ever (zumindestens eines der, mein Musicalwissen ist nun nicht das beste)! Die grandiosen Kulissen, die tollen und verdammt gutgelaunten Darsteller (Danny Elfman hat einen wunderbaren Auftritt als Satan höchstpersönlich!) und diese Musik...ein Film zum Durchfeiern, ein Triumph des von allen Konventionen befreiten Musikbilderwahnsinnrausches, unglaublich witzig, unglaublich unterhaltsam und auf sympathischste Weise bescheuert. ABSOLUTELY HILARIOUS AND HIGHLY RECOMMENDED!

Gedreht wurde das Ganze damals noch in schwarz-weiß, mittlerweile gibt es aber auch eine nachkolorierte Fassung - ich behaupte mal, in Farbe flasht der Film etwas mehr. Die nachfolgenden Videos sind leider noch die s/w-Fassungen, aber immer noch ein Vergnügen.





8

Kill Bill


KIll Bill
USA 2003/2004
Regie: Quentin Tarantino
Darsteller: Uma Thurman, David Carradine, Michael Madsen, Lucy Liu, Daryl Hannah, Vivica A. Fox, Michael Parks, Gordon Liu

(Der folgende Text bezieht sich sowohl auf Vol. 1 als auch auf Vol. 2 und enthält SPOILER)

Tarantino, seit jeher dafür bekannt, klassische Filmmotive und -aspekte sowohl zu zelebrieren als auch neuzuinterpretieren und zu hinterfragen, tut auch in seinem Racheepos nichts anderes – und dieses mal sogar mit einer klaren Zweiteilung nach der Funktion der einzelnen Abschnitte. Ist Vol. 1 dabei ein Höhepunkt des Abfeierns der Erzähl- und Darstellungsmöglichkeiten des Films, findet das Werk in Vol. 2 nicht nur zu einer beherrschteren Haltung, sondern auch zu gewitzten Spielen mit der Erwartungshaltung des Zuschauers sowie einer überraschend tiefen Bedeutung, welche sich zum Schluss immer deutlicher herauskristallisiert. 

Kill Bill: Vol. 1 ist in seinem Kern nichts anderes als ein Liebesbekenntnis zur filmischen Realität, beziehungsweise zu einer rein filmischen Realität. Dieser Film, inklusive seiner übertriebenen Gewalt, löst sich von jeglichen realen Grenzen – man mag schätzen, in welchem Jahr die Geschichte ungefähr spielen könnte, und natürlich sind die Handlungsorte in unserer Welt verankert, was in ihnen passiert, ist jedoch einer anderen Dimension verschrieben als der unseren. Die Moral der Figuren würde in der Wirklichkeit nicht funktionieren, man wird sie in diesem Film jedoch niemals hinterfragen, weil sie auch gar nicht den Anspruch hat, moralisch zu sein – die Taten der Figuren geschehen nicht, damit über sie gerichtet werden kann, sie dienen (noch) rein dem Selbstzweck. Von Bildkomposition über Soundtrack bis hin zu den (grandiosen) Kampfchoreographien ist Vol. 1 ein Fest, eine pausenlose Zelebrierung des Geschehens, welche nur darauf bedacht ist, das Maximum aus jeder Situation herauszukitzeln. Wenn gekämpft wird, wird es blutig und wuchtig und konsequent, wenn geredet wird, dann in stilisierten, eindeutigen Sätzen, wenn Figuren vorgestellt werden, dann mit prägnanten Aktionen. Bild und Ton vereinen sich immer wieder zu Musikclips von höchster Gänsehautproduktion und die Darsteller machen sich alle Mühe, einen unvergesslich verwegenen Eindruck zu hinterlassen.

Vol. 1 ist auf sofortige Überwältigung aus, was aber nicht heißen soll, dass keine Zeit für ruhigere Momente bleibt (das Gespräch zwischen der Braut und der Tochter von Verdita Green oder die Szenen mit Hattori Hanzo). Diese bleiben aber soweit: Momente, außer beim Schlusskampf, wenn bereits ein Bruch in der Stimmung zu verzeichnen ist. Wo zuvor mit voller physischer Energie und hohem Tempo inszeniert wurde, wird die Szenerie nun verträumt-malerisch, die Stimmung beherrscht, der Kampf zwischen O-Ren Ishii und der Braut findet mehr auf einer psychologischen Ebene statt (der physische Kampf an sich dauert, gerade im Vergleich zum vorangehenden Showdown, welcher seiner Bezeichnung alle Ehre macht, frappierend kurz). Das ist bereits ein Vorausblick auf das, was in Vol. 2 folgen wird, wie auch der letzte Satz des Films: „Is she aware that her daughter is still alive?“ Bislang war die Braut eine reine Killermaschine, welche für ihre Lust auf Rache über zahlreiche Leichen geht, dieser letzte Satz ist jedoch der erste Schritt zu einer Vermenschlichung dieser Figur, der Beginn eines Weges von einer reinen Filmfigur zu einer Persönlichkeit. 


Vol. 2 also. Es ist nicht verwunderlich, dass viele Zuschauer nach dem Gewalt- und Energiefeuerwerk des ersten Teils vom zweiten milde bis sehr enttäuscht waren, doch die Zweiteilung seitens Tarantino hat mehr Sinn, als nur die Laufzeit zu strecken und somit eine längere Geschichte zu erzählen: Nein, diese Zweiteilung erlaubt es ihm, eine vor allen Dingen komplexere Geschichte zu erzählen – eine, welche von der Menschwerdung einer Filmfigur erzählt. Zudem wird das in Vol. 1 konsequent verfolgte Prinzip, alle Versprechen an den Zuschauer mit all der Wucht zu erfüllen, die sich dieser erhofft, umgekehrt: Vol. 2 spielt wieder mit der Erwartungshaltung des Zuschauers, er bricht sogar mit dem grundsätzlichen Konzept der Geschichte (aka „Die Braut bringt alle um, die an dem Massaker an ihrer Hochzeit beteiligt waren“). Es geht nicht mehr bloß um die Racheidee und um deren brutale Ausführung und man erfährt erst gegen Ende, worum es eigentlich geht. Als die Braut schließlich Bill findet, muss sie feststellen, dass ihre Tochter gar nicht gestorben ist, sondern von ihm aufgezogen wurde. In einem Gespräch zwischen den beiden kommt heraus, dass sie aus der Killergruppe ausstieg, sobald sie von ihrer Schwangerschaft erfuhr, um ihrer Tochter eine gefahrenlose Existenz garantieren zu können. Aus der Killermaschine wurde zum Zeitpunkt der Entdeckung eine um das Leben bangende Mutter.

Es ist die Frage nach der eigenen Identität, welche hier gestellt wird – die Braut war stets die eiskalte Profikillerin und Bill ist nach wie vor davon überzeugt, dass sie es in ihrem Wesen auch geblieben ist, dass ihre bürgerliche Existenz nur eine Maske seie. Sie will sich von dieser Identität lösen, doch ihre Vergangenheit holt sie ein und zerstört ihre neue Existenz. Sie muss nun, nach dem Aufwachen aus dem Koma, mit dieser Vergangenheit abschließen, um eine neue Identität zu finden: Eine Identität als Mutter ihrer Tochter, als eine sorgevolle, liebende Person. Darum geht es letzten Endes in Vol. 2: Dass die konsequente Rächerin mit dem Samuraischwert nichts anderes lieber wäre, als das genau Gegenteil. Ihre Stilisierung zur Kämpferin im ersten Teil ist am Ende des zweiten nichtig, quasi nur eine Übergangsphase: Was wir zum Schluss von Vol. 2 haben, ist ein Mensch, mit Gefühlen und Sorgen. 

Vol. 1 ist demzufolge nur noch Fassade, eine Oberfläche, wie sie uns Filme oftmals bieten. Eine perfekte Oberfläche, möchte ich sagen, ein wilder Ritt durch coole, epische, gänsehautlastige Szenen zu perfekt ausgewählter Musik und damit eine Liebesode an die direkte Kraft eines Films, an seine Energie, den Zuschauer mit hohem Tempo mitzureißen und ihm ein Spektakel zu bieten. Mehr ist Vol. 1 an sich nicht, als ein vollendetes Spektakel, eine vollendete Rachefantasie. Vol. 2 dreht das Ganze dann um, bricht die Fassade auf und zeigt dem Zuschauer den Charakter hinter der Figur, die Seele hinter der Erscheinung. Der zweite Teil bietet zwar auch überwältigende Szenen (wie den unheimlich intensiven Kampf zwischen der Braut und Elle Driver), setzt aber hauptsächlich auf Dialoge und entfaltet gerade zum Schluss seine ganze emotionale Ebene. Unvergesslich die Einstellung von der Braut – die nun auch einen Namen bekommt, der uns im ersten Teil verheimlicht wurde: Beatrix Kiddow – wie sie nach Bills Tod (übrigens eine der größten und erhabendsten Todesszenen in der Filmgeschichte, meiner Meinung nach) weinend und lachend zugleich auf dem Badezimmerboden liegt und sich in Glückstränen windend immer wieder „Thank you...“ flüstert. Das ist nicht mehr das beinahe ikonisierte Etwas mit einem scharfen Samuraischwert vom Anfang, nicht mehr eine von Rache besessene Figur, das ist eine Frau, die uns plötzlich emotional ganz nah ist, eine Frau, welche nach unzähligen Hürden ihr ursprüngliches Ziel erreichen konnte: Den Ausbruch aus einer alten Identität, welche einer, ich sage mal, naturgegebenen und von Liebe statt von Tötungslust geprägten Identität gewichen ist, weichen musste. 


Wem Beatrix Kiddow in diesem Moment nun dankt, darüber kann man nur spekulieren. Als Zuschauer möchte man zumindestens Tarantino dafür danken, dass er eine perfekte Hommage an das Medium Film geschaffen hat, sowohl eine Huldigung des Films als Überwältigungs- wie auch als Erzählmedium, mit all den stilistischen und storytechnischen Kniffen, die man von diesem Mann erwarten konnte. Ein Film, der mir vor einigen Jahren zeigte, wozu Filme in der Lage sind, und welcher auch nun ein höchster Genuss gewesen ist, voller Gänsehautmomente, in denen ich Tränen nicht vermeiden konnte, und mit einer letzten Endes hochmenschlichen Erzählung, welche mich diesmal noch mehr berührt hat als jemals zuvor. Danke, Quentin. 

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