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Donnerstag, 27. Februar 2014

Die Brut


The Brood
Kanada 1979
Regie: David Cronenberg
Darsteller: Oliver Reed, Samantha Eggar, Art Hindle, Cindy Hinds u.a.

Das Kino des David Cronenberg kehrt mit großem Vergnügen das übertragend Innere zum buchstäblichen Außen - hier bekommt der Prozess sogar einen eigenen Namen, "Psychoplasmatik". Klingt seltsam, ist aber so, genauer: Ein Psycho(plasma)therapeut (massiv und flüssig zugleich: Oliver Reed) redet sich zur Problembeziehungsperson des Patienten und dieser darf endlich alles äußern, was geäußert werden muss. Dass dies nicht beim Verbalen bleiben kann, diktiert uns die Erfahrung mit dem Regisseur - inklusive einer feinen Reminiszenz an Roegs Wenn die Gondeln Trauer tragen (traue niemals einem roten Regenmantel!). Der Horror erwacht langsam, während ein Mann seine Tochter nicht an seine eingewiesene Frau (beängstigend: Samantha Eggar) verlieren will („I've said this ad nauseam, but The Brood was my version of Kramer Vs Kramer."), manifestiert sich in blutigen Ausbrüchen und findet in der finalen Szene zu einem schonungslos spannenden Höhepunkt, welcher perfekt ist, weil hier jedes Wort die brutale Wendung provozieren kann. Am Ende sind wir um eine Erfahrung reicher: Wenn wir unseren Hass rauslassen, ist er nicht verschwunden - er wird zu Fleisch und nimmt sich Fleisch. Barg der Blick in die Zukunft in Shivers noch eine verrückte Hoffnung in sich, bietet er hier nur noch das Grauen - welches entfremdet gezeigt worden mag, aber doch ganz alltäglich ist. 
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- Ich musste zugegeben kurz an Loriots "Pneumatische Plastologie" denken; hat mit dem Film aber natürlich nichts zu tun.
Weiterschauen: Possession (Zulawski)

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Donnerstag, 20. Februar 2014

Nymph()maniac: Vol. 1


Nymph()maniac: Vol. 1
Dänemark 2013
Regie: Lars von Trier
Darsteller: Charlotte Gainsbourg, Stellan Skarsgård, Shia LaBeof, Stacey Martin, Christian Slater, Uma Thurman, Connie Nielsen u.a.

Die absolute filmische Selbstverwirklichung. Dieser Film überschreitet nicht einmal mehr Grenzen - er negiert Grenzen, Grenzen des Erzählens, Grenzen der filmischen Darstellung. Er ist ein Inbegriff von filmischer Freiheit, weil er die Stimmung, die er erzeugt, niemals aufrecht erhalten muss - genauso wenig, wie es das Leben muss. Die Szene mit Uma Thurman macht es deutlich, es ist diese Szene, die dem Satz "man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll" wirklich würdig ist, weil sie todtraurig und kaum erträglich intim und gleichzeitig unfassbar grotesk und komisch ist. Sie kann eigentlich nicht funktionieren, tut es aber, weil der ganze Film sich konsequent einer Eingrenzung verwehrt. Er ist eine Komödie, eine Tragödie, ein Porno, ein Drama, ein Märchen und eine kulturwissenschaftliche Diskussion, ein Liebesfilm, ein Horrofilm, Mitgefühl, Zynismus, Kälte, Mitleid, Hohn, Würdigung und Satire. Ein Film ist eine Metapher ist das Leben ist eine Metapher ist ein Film. Lars von Trier geht (ähnlich wie damals in Idioten) sogar so weit, dass er schon die mögliche Reflektion der Geschichte reflektiert (oder: reflektieren lässt). Wem gehört eigentlich eine Erzählung, dem Erzähler oder dem, dem sie erzählt wird? Oder doch dem, der dem Erzählprozess zuschaut - ja, es gibt nun auch eine dritte Ebene. Bestimmt auch eine vierte und fünfte und eine im doppelten Boden. Die Filme des Lars von Trier waren schon immer Labyrinthe der Wahrnehmung und Beurteilung, aber jetzt, so scheint es, haben sich die Wände dieser Labyrinthe aufgelöst. Der Film als Medium entkommt seiner Fruchtblase, könnte man sagen, wenn man einer plötzlichen Euphorie verfallen sein sollte, aber wenn dieses Werk eines provoziert, dann ist es diese Euphorie, einem Meilenstein (wenn auch nur einem Teil) beigewohnt zu haben. Wie gesagt, die absolute filmische Selbstverwirklichung, oder: Warum von Trier mein größter, tollster, bester Lieblingsregisseur ist und bleibt und warum Film das schönste ist, was der Mensch jemals hätte schaffen können.
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Weiterschauen: Kill Bill (Tarantino), Idioten (von Trier)


spontane, voreilige, gelebte 10

Freitag, 7. Februar 2014

Der Hobbit: Smaugs Einöde


The Hobbit: The Desolation of Smaug
USA 2013
Regie: Peter Jackson
Darsteller: Martin Freeman, Ian McKellen, Benedict Cumberbatch, Richard Armitage, Orlando Bloom, Lee Pace, Evangeline Lilly, Aidan Turner

Der lange Weg des Peter Jackson: Von skurril-verspielten (und äußerst blutigen) Grotesken hin zur epischsten und ernstesten Fantasyerzählung, die das Kino jemals gesehen hatte. Nun scheint es, als würde eine gewisse Nostalgie den Regisseur befallen - ist der Boden der Bodenständigkeit doch ein hartes Pflaster? Warum nicht einfach den visuellen Realismus auf eine neue Stufe bringen - das Kino von heute ist 48-mal Wahrheit und Lüge in der Sekunde*. Das war schon während der ersten Revisite von Mittelerde leicht verwirrend, wenn Riesen aus Stein und Fels sich so nahe wie die Real-RTLer in einem überfüllten Bus anfühlten, aber erst in Smaugs Einöde werden die teuflischen Ausmaße von HFR 3D wirklich erkennbar: Das ist nicht mehr ein hyperrealer Fantasyfilm, dass ist ein hyperrealer Fantasyanimationsfilm! Die Physik von diesem Film folgt nämlich gar keinen Gesetzen mehr, höchstens noch denen des Zeichentrickfilms oder eines Videospiels: Hier kann Legolas mit der Sprungpräzision eines italienischen Klempners über einen reißenden Fluss speedrunnen und Headshots verteilen, als würde er über ein Anvisiersystem verfügen, hier schmelzen drölfzig Tonnen Gold schneller als ein Plastikbecher auf einer heißen Herdplatte, hier rennen Orks über klapprige Dächer mit der Lautstärke eines schlafenden Schmetterlings. Und wenn wir schon den Feind nicht besiegen können, dann färben wir ihn golden! Vielleicht schämt er sich dann von selbst zu Tode. Das alles so vor der Nase und gefühlt echt, dass man teils gar nicht mehr wissen will, wie Filme ein paar Dekaden weiter aussehen könnten. Und trotz allem, der Ton bleibt düster, manchmal todernst und dann präsentiert der Film in der Schwärze Saurons das greifbarste ungreifbare Böse, was jemals hätte visuell eingefangen werden können. Nein, das ist definitiv nicht der neue Herr der Ringe, aber nein, das ist kein Grund zur Trauer. Mittelerde lebt weiter und möchte feiern, wie es sich für das Jahrzehnt gehört. Leider? Leider geil.
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*Grüße an Godard und Fassbinder.

- Ja, ich bin ein Fan von HFR 3D, es fühlt sich nicht unbedingt gesund an, aber welche Immersion!
- Noch einmal: Saurons Auge war hier optisch mit das Beste, was ich je (im Kino) erblicken durfte. (siehe auch Zeile drüber)
Weiterschauen: Die Abenteuer von Tim und Struppi (Spielberg; bin gerade mal sehr auf Jacksons Fortsetzung davon gespannt)

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