Suche

Mittwoch, 15. Mai 2013

Die dritte Generation


Die dritte Generation
Deutschland 1979
Regie: Rainer Werner Fassbinder
Darsteller: Eddie Constantine, Hanna Schygulla, Volker Spengler, Margit Carstensen, Günther Kaufmann, Udo Kier, Vitus Zeplichal, Bulle Ogier u.a.

Es gibt Filme, bei denen reicht ein Satz aus der Storybeschreibung oder auch ein winziges Zitat aus dem Drehbuch, um die Erwartungen in ungeahnte Höhen schellen zu lassen.
Und wenn man sie zu schauen beginnt und im letzten Moment seine absurden Erwartungen zurückstellt, um nicht doch enttäuscht zu werden, und einen Schokocroissant in die Hand nimmt, um dem erwarteten Ungeheuer mit der nötigen Gelassenheit gegenübertreten zu können, da macht der Film etwas, was einen den Croissant auf halbem Wege zum Mund in der Luft stecken bleiben lässt.
Und zieht es nicht einmal die gesamte Laufzeit durch, sondern schafft es, sich zunehmend zu steigern, bis seine Absurdität die der vorangegangenen Hoffnung erreicht, sie sogar noch um Meilen übertrifft.



Es beginnt mit pulsierenden Anfangscredits, auf die Gaspar Noé neidisch sein könnte, und es endet, wie ein guter Lynch-Film endet: Im (scheinbar!) absoluten Chaos, inhaltlich wie stilistisch wie inszenatorisch, und doch einer eigenen, bitterbösen und furchtbar ehrlichen Logik folgend, welche, ist man in der Lage, sie zu begreifen, einem für kurze Zeit und mit langer Nachwirkung den verrotetten Kern der Welt vor Augen führt.
Dazwischen liegt Gott alias Fassbinder und tut nichts anderes, als den Zuschauer auf der einen Seite zu verwöhnen und ihm auf der anderen Seite die Sichtung zur Hölle im Bildschirm zu machen.
Da gibt es großartige Darsteller - Volker Spengler und Margit Carstensen und Vitus Zeplichal und die kälteste und schönste Frau, die je von einer Kamera betrachtet werden durfte (Hanna Schygulla) - und es gibt Szenen, in denen man durch eben diese vor den Kopf gestoßen wird, durch wildes Geschreie und niemals nachvollziehbare Ausrufe.
Und es gibt scharfsinnige Dialoge, die in die Unendlichkeit scheinen - welche durch die permanente Kakofonie aus Radio- und Fernsehansagen, verstörend-widerliche Hintergrundgeräusche aus dem Nichts und plötzlich auftauchende Musikuntermalung kaum zu hören sind und keine Konzentration der Welt kann einem aus dem überbrodelnden akustischen Chaos befreien.
Ein Chaos, welches nicht Selbstzweck, sondern vielmehr Blick in eine Zukunft, welche vor Informationsübergewicht nicht mehr dazu in der Lage ist, Informationen zu filtern. (wer Chuck Palahniuks Lullaby gelesen hat, weiß, was ich meine)



Es gibt Anklänge an den Film Noir, wundervoll melancholisch, und Brüche, mittendrin, Ausbrüche unbarmherziger, ekelerregender, verstörender Gewalt, wie man sie niemals erwartet hätte.
Und doch bleibt Die dritte Generation in ihrem Herzen, wie schon zu Beginn angekündigt, "Eine Komödie in 6 Teilen um Gesellschaftsspiele voll Spannung, Erregung und Logik, Grausamkeit und Wahnsinn, ähnlich den Märchen, die man Kindern erzählt, ihr Leben zum Tod ertragen zu helfen".


Eine Satire als Tragödie, die nichts anderes tut, als sich selbst auszulachen.


Terroristen als Farce auf zwei Beinen, die sich bei ihren sinnlosen Missionen in die Hose pinkeln vor Angst, die sich als Zirkusleute verkleiden, um dem großen und grausamen Zirkus BRD gerecht zu werden, die nichts wissen, aber alles tun, um...um...um...
Und im letzten Bild, im letzen Lächeln, dort steckt trotz all der Anarchie, welche am Schluss einem Gehirnmassaker gleicht, trotz all der Ironie und des Sarkasmus, in diesem Lächeln steckt doch mehr an politischem und medialem Weltschmerz, als Network und Brazil zusammen beinhalten. 


In Alan Moores From Hell wird angedeutet, dass Jack the Ripper das 20. Jahrhundert geboren hat.
Nach Fassbinders vielleicht größtem Zuschauerfeind "Die dritte Generation" möchte man behaupten, dass die RAF und ihre Möchtegern-Nachfolger das 21. Jahrhundert geboren haben.
Wer das Vorwissen aus der ersten Unterhaltung von Peter Lurz und August - "...da hat das Kapital den Terrorismus erfunden, um den Staat zu zwingen, es besser zu schützen..." - während der gesamten Sichtung im Hinterkopf behält, wird mir vielleicht zustimmen.


Wahrhaftig ein Mephisto von einem Film. Fassbinder selbst sagte dazu: "Ich werfe keine Bomben, ich mache Filme." Fragt sich nur, was davon schmerzvoller ist. 

10

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen