Antichrist
Dänemark 2009
Regie: Lars von Trier
Darsteller: Charlotte Gainsbourg, Willem Dafoe
Manche Filme werden gedreht, um damit Geld zu verdienen, andere, um 
eine Aussage zu tätigen, manche Regisseure erfüllen sich mit ihren 
Filmen ihre eigenen Kindheitswünsche, und manche Filme resultieren 
einfach nur aus Wut und Hass - gerne auch aus Selbsthass. Antichrist 
ist ein solches Werk des menschlichen Selbsthasses, des Dranges nach 
Selbstzerstörung und dessen Konfliktes mit dem Selbsterhaltungstrieb. 
Und natürlich vieles andere ebenso, aber vorrangig resultierend aus dem 
reinen Hass - und so kommt es, dass am Ende dieses Werkes keine klar 
erkennbare Aussage steht, sondern ein riesiges, farbloses Fragezeichen, 
und bei der Frage nach dessen Bedeutung einem nichts anderes entfahren 
kann als ein verzweifelt-hämisches Lachen. 
Doch "Film des Hasses" hin oder her, von Trier wäre nicht von Trier, 
wenn das Ganze nicht eine Vieldeutigkeit erreichen würde, wie sie sonst 
wohl nur von "Letztes Jahr in Marienbad" erreicht werden kann: Sein Antichrist kann buchstäblich alles sein, ein Todesurteil wie eine 
Erlösungsguide, eine mit Blut und Sperma geschriebene Tragödie wie eine 
unheimlich schwarze Komödie, ein frauenfeindliches wie männerfeindliches
 Werk, womöglich auch zugleich, ein Schlag ins Gesicht all der 
Psychotherapeuten dadraußen oder vielleicht eine weitesgehend 
missverstandene Selbstkritik (wobei die Tendenz zur Selbstverherrlichung
 deutlicher ist - auch wenn es die grausamste Form der 
Selbstverherrlichung und - darstellung ist, die das Kino jemals erleben 
durfte und musste).
Es bringt nichts, zu versuchen, diesen Film auf nur einen Aspekt zu 
begrenzen, es ist gar sinnvoller, ihn gar keinem festen Aspekt 
zuzuordnen, sondern als Nährboden für Aspekte anzusehen, als 
Diskussionsgrundlage, aber nicht als Diskussionsargument. Lars von Trier
 wütet hier 108 Minuten lang über Zelluloid, mit der Versessenheit eines
 kleinen Kindes, welches noch gar nicht begreift, was "kaputtmachen" für
 Konsequenzen hat, aber zugleich mit der Hintersinnigkeit und 
Zweidreivierdeutigkeit des Lars von Trier, welcher Epidemic, Idioten
 und Dogville auf die Menschheit gelassen hatte. Das Ergebnis ist ein 
filmischer Amoklauf, das Essenzwerk eines Mannes, welcher sich lange zur
 Gewohnheit gemacht hat, dem Zuschauer in seinen Werken einen Spiegel 
vorzuhalten und ihn anschließend damit lachend zu verdreschen. Mit dem 
Unterschied, dass er in diesem Falle auch sich selbst nicht unverletzt 
davonkommen lässt.
Antichrist ist, wie viele behaupten, tatsächlich ein Nichts - 
solange er alleine, für sich steht. Ein Chaos, welches in einer eigenen 
Galaxie zu existieren scheint, welche uns eigentlich egal sein kann - 
aber ein Chaos, welches durch einen Blick von bestimmter Dauer zum Leben
 erwacht. Selbstverständlich, jeder Film erhält erst durch die Rezeption
 Bedeutung, aber im Falle von Antichrist scheint es eher so, als ob 
dieser Film erst durch Rezeption überhaupt existent wird (ansonsten 
verbliebe es einfach ein bösartiges Hirngespinst von Triers und eine 
gruselige Erinnerung von Gainsbourg und Dafoe). Es braucht Gedanken 
und/oder Diskussion, um diesen Film als mehr als nur gewaltsüchtige und 
destruktive Zeitverschwendung betrachten zu können. Es braucht auch eine
 Prise Überzeugung, um diesen Film überhaupt mögen zu können.
Manch einer würde auch sagen, dass es Einsicht bedarf. Oder 
Akzeptanz. Oder Lebenserfahrung. Ganz subjektiv möchte ich (und werde 
ich auch, immer) Antichrist als eines der großartigsten und größten 
Werke der Filmgeschichte bezeichnen und tief in mir jedem Nichtgönner 
fehlendes Verständnis und fehlenden Mut zur Auseinandersetzung vorwerfen
 (und es ist mir egal, wie arrogant ich damit wirken mag). Ganz 
subjektiv stellt es für mich den abschließenden und absolut 
hoffnungslosen Teil der regisseur- und dekadenübergreifenden, von mir 
ausgerufenen Beziehungstrilogie (Zulawskis Possession, Noès Irreversible und von Triers Antichrist)  dar und vielleicht den 
einzigen Film, bei dem es mich davor graust, mich zu lange gedanklich 
damit zu beschäftigen. Von der inszenatorischen und darstellerischen 
Perfektion (!) mal ganz abgesehen. 
Wem meine beinahe mit Tränen in den Augen verfassten 
Fanboy-Liebestiraden nicht ausreichen, der darf gerne einen Blick in 
meine damals fürs Abitur verfasste Jahresarbeit über diesen Film werfen 
(odt., 78 Seiten, knapp über 30.000 Wörter, Selbstdarstellung bis zum 
gehtnichtmehr und somit eine hoffentlich würdige Hommage an das 
grauenvolle Meisterwerk) - hier der Downloadlink (und ich freue mich 
selbstverständlich über jede Form der Rückmeldung):
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