Suche

Dienstag, 25. Juni 2013

Arrietty - Die wundersame Welt der Borger


Kari-gurashi no Arietti
Japan 2010
Regie: Hiromasa Yonebayashi


Das Schönste an diesem Film - an vielen Ghibli-Werken - ist eigentlich die Art, wie diese leicht fremde Welt dargestellt wird. Jede Umgebung, jede Räumlichkeit ist mit einer Detailfülle gestaltet, wie man sie kaum in anderen Animationsfilmen wiederfindet. Die 3D-animierten Blockbuster von Pixar und Co. bieten sicherlich auch reichhaltige Bilderwelten mit zig Details, aber es ist die Art, wie mit diesen umgegangen wird, die zum Unterschied führt. Wo im Westen die visuell üppigste Kulisse sich der permanenten Reizüberforderung hingibt und sehr gerne als Kollateralschaden endet, ist in Arrietty (mal wieder) jedes kleine Teil der Welt eben - ein Teil dieser Welt. Von winzigem Geschirr über rostige Nägel und bis hin zu einzelnen Grashalmen können wir jedes Objekt anfassen, uns an jede Wand lehnen, spüren das Klirren der Tassen, den Hauch des Windes, als wäre diese Märchenwelt nicht gezeichnet, sondern real und wir mittendrin. Am Ende sitzt dieser Eindruck gar über der schönen und ruhigen Geschichte, über den witzigen sexuellen Anspielungen in der Natur, über dem Gefühl für das Märchenhafte, was wir zwischen den Diehlen vorfinden möchte. Es ist der Eindruck, tatsächlich dort gewesen zu sein, den man fast mehr auf der Haut als unter dieser spürt. Und das ist doch mit das Schönste, was ein Film einem geben kann.

8


Sonntag, 16. Juni 2013

The Binding of Isaac


The Binding of Isaac
The Binding of Isaac: Wrath of the Lamb
2011 - PC
Entwickler: Edmund McMillen, Florian Himsl
Publisher: Valve

Sicherlich verspätet, aber es hat mich erwischt. Ich bin süchtig. Ich schaue auf die Uhr und merke, dass ich wieder seit mehreren Stunden nichts gemacht habe, als durch dunkle (Bauch)Höhlen zu rennen und allerlei Gesindel wie Würmer, Spinnen, Zombies und gar Satan höchstpersönlich zu schlachten. Und mich von ihnen schlachten zu lassen. Zum Vergleich: Mass Effect 2 habe ich letztes Jahr so intensiv gespielt wie nur möglich, jeden einzelnen Planeten ausgesagt wie ein Vampir seine Jungfrauen, jede Quest erledigt, jeden Gegner erschossen. 42 Spielstunden insgesamt. The Binding of Isaac habe ich vor wenigen Wochen entdeckt und seitdem permanent zwischen Uni, Freundin und wieder Uni eingeschoben. Oder auch stattdessen. Meine bessere Hälfte sagt gerade ich soll schreiben, es seie das beste Spiel, wenn man eine Beziehung zerstören möchte. Besorgnisserregende 71 Stunden so weit, davon 59 in den letzten zwei Wochen. Ich will nicht daran denken, wie viele Meisterwerke der Literatur und des Films ich in dieser Zeit hätte lesen und schauen können. Mein riesiger Stapel an ungeschauten DVDs und Blu-Rays wäre wohl zur Hälfte entschlankt worden, hätte ich nicht dieses Spiel gespielt. The Binding of Dimi. Ein schwarzes Loch.


Faszinierend, wie ein Spiel, was man immer und immer wieder von vorne starten muss, für so viel Langzeitmotivation sorgen kann. Natürlich verändert es sich, besser: erweitert sich mit fortwährenden Erfolgen des Spielers selbst, neue Waffen, neue Gegenstände, neue Fähigkeiten, neue Spielfiguren. Zum Teil eher Fluch als Segen. Natürlich sind Bombengeschosse eine feine Sache. Weniger fein, wenn man in eine Ecke gedrängt wird oder die Gegner einem einfach nicht von den Fersen weichen, dann jagt man sich schnell selbst in die Luft. Natürlich sind neue Figuren toll. Besonders wenn sie mit weniger Lebensenergie starten, langsamer oder schwächer sind. Jede Errungenschaft ist eine neue Herausforderung, jedes Mal, wenn man eine Hürde bewältigt, bekommt man eine neue geschenkt. Je öfter man gewinnt, desto stärker die Gegner. High risk - high reward.

Letzten Endes wird nicht die Spielfigur stärker oder klüger. Nicht sie erhält neue Rüstungen - der Spieler tut es. Mit jedem Tod wird die eigene Haut dicker, mit jedem Ableben kurz vorm Besiegen des (niemals) letzten Gegners bekommt man einen Bonus auf Kampfgeist, erreicht einen neuen Level in Motivation, drückt REPLAY und stürzt sich wieder in die Schlacht, schneller, gewitzter, abgebrühter. Opfert seine letzten Herzen für Laserstrahlen, verkauft seine Seele für den letzten Funken Schaden, irgendwann lernt man, den Händen und Füßen der eigenen Mutter auszuweichen, irgendwann fliegt man durch die Levels, als manifestierter Tod, entstanden aus zu vielen Toden (die Anzahl kann man nachlesen), gestärkt durch das Verbluten, ruchlos durch das Scheitern. Irgendwann ist man ein geflügeltes Überwesen und dann enttäuscht, dass das Spiel schon zu Ende. Aber man kann es ja noch einmal anfangen. From zero to hero. Im Kampf gegen die eigene Mutter, ihr Herz, Satan, irgendwann sich selbst. Vor allem im Kampf gegen seine eigene Zeit. Die könnte man gewiss sinnvoller nutzen. Und ich schwöre mir jedes Mal, dass es das letzte Mal für dieses Wochenede war. Für diesen Tag. Für die nächsten paar Stunden. Aber ich könnte ja wieder und ich tu es auch. Vielleicht, weil nichts so spannend wie die Unvorhersehbarkeit ist. Und weniges so befriedigend, wie das minutenlange perfekte Ausweichen, das mit einem Blutschwall endet. Ist das noch Kultur oder schon eine Droge. Auf jeden Fall ist es eine Meisterleistung, die einfach nicht enden will.

9


Sonntag, 9. Juni 2013

Scarface


Scarface
USA 1983
Regie: Brian de Palma
Darsteller: Al Pacino, Michelle Pfeiffer, Mary Elizabeth Mastrantonio, Robert Loggia, F. Murray Abraham u.a.

Jenseits der Aufstieg-Fall-Geschichte im 80er-Neondschungel Miami und Pacinos Darstellerextremismus ist Scarface, irgendwo, eine Erzählung von der Unmöglichkeit von Prinzipien. "I always tell the truth, even when I lie." Montanas Aufstieg gründet mehr auf seinen Überzeugungen als auf seinen Taten, doch diese sind selten so eindeutig wie er sie in "fuck"-Variationen äußert. Sein Leben ist wie er selbst, ein zweischneidiges Schwert, ein Konglomerat aus Menschenhass und Kinderliebe, Loyalität und Verrat, Familiensorgen und purem Egoismus. Die wahre Leistung des Films ist eigentlich gar nicht sein Kultfaktor, wohl nicht einmal sein Einfluss bis hin zu Vice Citys Spielkulturrevolution in pink und lila, sie liegt darin, dass er funktioniert, obwohl er gar nicht funktionieren kann. Der Protagonist, die Inszenierung, die Dialoge und der Soundtrack bestehen aus nichts als Widersprüchen, die Story wirkt klassisch linear, doch tatsächlich windet sie sich wie eine Schlange, von Extremum zum Extremum, zwischen Verherrlichung und Demontage, Party und Hangover, Nehmen und Verlieren. Aus grotesken femmes (non-)fatales, off-screen-Kettensägenmassakern, von Comedyshows abgelenkten Killern und der Extraportion Geschwisterliebe, aus dem Aufstieg durch Hinrichtung und der Hinrichtung durch Moralreden entsteht im Finale einer, der nicht getötet werden kann, wenn man ihm in die Augen sieht. Nur wer auch nachts eine Sonnenbrille trägt, um von nichts geblendet werden zu können, kann den tötenden und rettenden Schuss abfeuern und auch das nur aus dem Hinterhalt. Dann ist die Geschichte, die keine sein kann, weil sie sich selbst nur widerspricht, zu Ende. A man must provide for his family. Moral, das ist, wenn man moralisch ist. PUSH IT TO THE LIMIT. Man sagt, die Guten sterben jung, doch die Besten sterben nie. Von allem einen Schuss zu einer ekstatischen Mischung, die man nicht verstehen, nur genießen kann.

"As mean as a wolf, as sharp as a tooth
As deep as a bite, as dark as the night
As sweet as a song, as right as a wrong
As long as a road, as ugly as a toad

As pretty as a picture hanging from a fixture
Strong like a family, strong as I wanna be
Bright as day, as light as play
As hard as nails, as grand as a whale

- Everything at once"


Wie Pacino, de Palma und Stone. Unmöglichkeit von Perfektion in Perfektion. THE WORLD IS YOURS ... PAN AMERICAN.
 

9