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Dienstag, 22. April 2014

Die Prinzessin Yang Kwei-fei


Yôkihi
Japan 1955
Regie: Kenji Mizoguchi
Darsteller: Machiko Kyô, Masayuki Mori, Sô Yamamura u.a.

Seit seine Frau verstorben ist, fristet der Imperator Hüan-tsung ein Leben zwischen tiefer Trauer und ihm völlig egal gewordener politischer Anliegen. Sich nicht einflussreich genug vorkommende Familien sehen darin ihre Chance, endlich sozial und machttechnisch aufzusteigen und bemühen sich hochmotiviert darum, dem Herrscher eine neue Angebetene aus den eigenen Reihen schmackhaft zu machen (Sex und Politiik korrelieren gerne), allerdings ohne den gewünschten Erfolg. Bis ein gerissener General im Haus der Familie Yang eine bildhübsche und der Verstorbenen außergewöhnlich ähnliche Küchendienerin entdeckt, die trotz ihres Widerwillens (lieber Küchensklavin als Harembewohnerin) hergerichtet und präsentiert wird. Auch sie fällt in den Augen des Imperators nicht auf, wohl aber in seinen Ohren, als sie eine von ihm vorgetragene Melodie vorspielt und die Seelenverwandschaft bestätigt, die er zu finden nicht mehr gehofft hat. Doch das Glück währt nicht lange, als ihre Mitgift in Form einer gierigen Familie den Zorn der Bevölkerung auf sich und letzlich auch auf sie richtet - das Glück des Herrschers ist nicht selten das Leid seiner Untertanen.

Mizoguchis erster und letzter Farbfilm ist nicht gerade sein bester (in meinen Augen der schwächste, den ich von ihm bislang gesehen habe): Was die Geschichte inhaltlich trägt, ist in wenigen Szenen umrissen, und so wirkt das Ganze etwas zähflüssig und gezogen, selbst für die kurze Laufzeit von eineinhalb Stunden. Dabei ist der Film nie uninteressant; wie seine Figuren durch fremden Zwang zueinander finden und plötzlich abseits aller Machtpolitik in einander ihr Glück finden, ist ein berührend menschlicher Ausbruch aus den gesellschaftlichen Systemen. Dass diese zurückschlagen, erwartet man, und so ganz will einen der Ausgang leider auch nicht treffen - zumindestens zunächst nicht. Die finale Szene mag zwar nicht die symbolische Wucht von Mizoguchis früheren Werken in sich tragen, an Gefühl fehlt es ihr aber in keinster Weise - viel berührender könnte die Erzählung nicht ausklingen.
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- Mizoguchis vorletztes Werk - es folgte nur noch "Die Straße der Schande", dann waren das Leben und die Filmographie (die beinahe 100 Filme fasste) des großen japanischen Regisseurs zu Ende.
- Basiert auf einer alten chinesischen Legende, die es auch als japanische Variation mit glücklicherem Ende gibt - Mizoguchi entschied sich (natürlich) für die konsequentere Fassung. 
Weiterschauen: Die Legende vom Meister der Rollbilder (und alles weitere von Mizoguchi)

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Mittwoch, 9. April 2014

Man of Steel - Von Übermenschen und Überinszenierung



Man of Steel
USA 2013
Regie: Zack Snyder
Darsteller: Henry Cavill, Michael Shannon, Russel Crowe, Amy Adams, Kevin Costner, Diane Lane, Laurence Fishburne u.a.

Snyder und der Übermensch

300: Eine Schwarz-Weiß-Welt der Antike. Es gibt die perfektionierten Menschen (Suche nach körperlicher Vollendung, systematische Nachwuchsselektion) und es gibt die entstellten, pervertierten Nicht-mehr-Menschen (unter den Masken verbergen sich monströse Kreaturen; der - wiederum entstellte - Verräter - sein Verrat ist natürlich ein starkes Argument pro Vernichtung Missgebildeter - findet sich später an einem Ort der ausgelebten Sünde des Fleisches). Die Guten gegen die Bösen. Die große Tat besteht darin, sein Leben für sein Volk, sein Land, sein System zu geben - die noch größere Tat aber ist, jenes Opfer in der Erzählung fortzutragen. Übermensch, das ist, wenn der perfekte Mensch die anderen überragt.

Watchmen: Eine Grau-Grau-Welt der Moderne. Es gibt die Menschen, die in Hass und Angst (vor der völligen Auslöschung) leben, und die Menschen, die sich Kostüme überziehen, weil sie die Angst besiegen wollen (dem Hass entkommen sie nur selten). Die Guten für die Schwachen. Die große Tat besteht wieder in einem großen Opfer - aber nicht mehr im eigenen. Übermensch, das ist, wenn man seine Menschlichkeit für das Wohl (?) der Menscheit abgibt.

Sucker Punch: Eine Kunterbunt-Regenbogenwelt der Postmoderne. Es gibt die Menschen (Männer), die begehren, es gibt die Menschen (Frauen), die begehrt werden. Die Hungrigen für die Wahrheit durch die Lüge, die Ausgenutzten für ihre Freiheit durch ihre Gefangenschaft (in ihren Rollen). Die große Tat besteht darin, das System zu zerstören, indem man selbst zum System wird. Übermensch, das ist, wenn der Mensch jede Erwartung erfüllt und zugleich bricht.

...was Man of Steel in dieser Auflistung auch tut - er passt in sie und zugleich passt er nicht. Superman respektive Kal-El (nach Tarantino: Clark Kent ist Supermans Maske, nicht etwa umgekehrt!) ist der Ur-Superheld, der Ur-Übermensch der Popkultur - zugleich ist er aber eigentlich gar kein Mensch. Er ist ein Alien, ein Überbleibsel einer Kultur, die durch Ressourcenmissbrauch und Geburtenkontrollen - grüßen uns da etwa die Spartaner? - zugrunde gegangen ist; er ist aber schon in dieser ein Wunder, als erste natürliche Geburt seit [insert large time period]. Eine Hoffnung für seine Heimat, durch seine Zwangsemigration aber auch eine Hoffung für seine neue Heimat - könnte man meinen. Er ist ein Kind zweier Welten (genetisch kryptonisch, sozial irdisch) und dadurch ein doppeltes Überwesen: Den Menschen hat er seine "Superkräfte" voraus, den (letzten) Kryptoniern die Moral.

Und so ist seine Entwicklung die genaue Umkehr der Wege der Spartaner aus 300 und der Figuren aus Watchmen (Ozymandias und Dr. Manhattan). Jene verlieren ihre moralische Basis, während sie sich ihrer Perfektion nähern, Kal-El aber gewinnt diese, während er seine Über-Perfektion an die irdische und menschliche Umgebung anzupassen versucht. Nite Owl muss erst mehrere Knochen brechen, bis er seine Potenz wiedererlangt, Kal-El hingegen muss lernen, die andere Wange hinzuhalten statt zurückzuschlagen. Übermensch, das ist, wenn man den Schmerz lieber auf sich nimmt. Auch: Wenn man seine Vergangenheit für eine fremde Zukunft auslöscht. Ein Kind zweier Welten, das zwischen die beiden gedrängt wird, und eine Entscheidung fällen muss, die nur schmerzen kann (damit tatsächlich in der Tradition eines Nolan'schen Superhelden; ich persönlich sehe aber eben lieber jene, die eher mit ihren Entscheidungen statt mit ihren Feinden kämpfen).

Snyder und der Bewegungsrausch

Es ist zunächst überraschend, wie Snyder Man of Steel inszeniert. Der Mann, der die Verlangsamung von Actionszenen in den letzten Jahren auf die Spitze getrieben hat, der jedem Schlag, jedem Schuss und jedem Stich in 300, Watchmen, Sucker Punch eine gefühlte Ewigkeit widmet, präsentiert in diesem Werk ein gefühltes Chaos aus Stakattoschnitten, Wackelschwenks und Zooms. Der radikale Bruch ist aber sinnig, wenn man das Außerirdische in Kal-El aus der Erzählung auf die Bildebene überträgt. Seine Wahrnehmung dieser Welt ist nicht mit unserer vergleichbar, sein Raumgefühl ist unserem ähnlich fern wie Dr. Manhattans Zeitempfindung*. Der Mensch denkt in Entfernungen und Raumbegrenzungen, aber diese existieren für Kal-El nicht, da er räumliche Barierren durch seine Kräfte negiert. "The world's too big, Mom". sagt er, als er sich als Kind in einer Abstellkammer versteckt. "Then make it small.", antwortet sie ihm. Spätestens bei seinem ersten Flug hat er dies vollbracht - die gesamte Erde ist nur noch ein rasend schnell wechselnder Hintergrund für seine Bewegungen. Die Action, die der Zuschauer im Finale erlebt, ist somit den Grenzen der menschlichen Wahrnehmung enthoben, es ist die schnellste, heftigste Action, die je auf Film gebannt wurde - und das Beeindruckendste, was ein grundsätzlich absoluter Mainstreamblockbuster inszenatorisch jemals gewagt hat. Sie hat nicht mehr die Orientierung des Zuschauers zum Ziel, sondern ist vollständig an den Protagonisten angepasst. Selten wurde eine subjektive Wahrnehmung durch Bilder so grandios vermittelt - in diesem Genre wahrscheinlich noch nie.

Abseits der Immersion (oder der Erschwerung dieser?) ist die enthobene Inszenierung aber auch Indikator der Stärkenverhältnisse. Für Kryptonianer ist der Mensch auch mit seiner besten Technik praktisch so bedrohlich wie eine Ameise, eine Großstadt demzufolge auch so nichtig wie ein Ameisenhaufen aus unserer Sicht, die Terraformingmaschinen bestätigen diese Abstufung. Lebensraum zerstören, um Lebensraum zu schaffen: Das ist nichts Neues, läuft nur dieses Mal umgekehrt, und was uns ein Baum ist einem anderen ein Haus. Irgendwann schmeißen sich Kal-El und Zod gegenseitig durch Wolkenkratzer und dann ist die Action so schnell, dass die Großstadtkulisse zu einer scheinbar unbelebten Kulisse wird - es gibt den Guten, den Bösen und die Trümmer. Man könnte nun meinen (viele tun es anscheinend), dass der nun fehlende Blick auf den menschlichen Kollateralschaden jenen negiert. Tatsächlich wissen wir aber auch in diesem Moment noch, dass die Menschen unter den Trümmern nicht weg sind, weil wir sie zuvor noch um ihr Leben kämpfen gesehen haben - und auch zum Schluss des finalen Kampfes kehren sie ins Bild zurück, wenn Kal-El eine letzte Entscheidung fällen muss und als Zerstörer im Retter auf Knien endet. Dazwischen liegen die Bilder, in denen deutlich wird: Wer über anderen steht, sieht auch über andere hinweg, ob er will oder nicht.

Schade allerdings, dass die geniale Inszenierung und die interessante Grundgeschichte an ein eher schwaches Drehbuch gebunden sind. Goyers Dialoge sind Snyders Bildern selten würdig und über die Logik der einzelnen Handlungselemente mag ich mich gar nicht mehr unterhalten. So bleibt es beim formalen Meisterwerk und man könnte fast meinen, sich hier und da die Ohren zuhalten zu können, wäre da nicht Hans Zimmers einprägsam-epischer (ich mag das Wort mittlerweile nicht mehr, aber es passt) Soundtrack - wobei das für viele wohl nicht als Argument durchgehen wird. Aber was ein Glück, dass Filme im besten Falle vor allem filmisch erzählen - wenn Snyder das tut, lauschen zumindestens meine Augen gerne. 
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* Das Dr. Manhattan-Kapitel ist in der Verfilmung zwar grundsätzlich eindrucksvoll umgesetzt, verliert aber gegenüber der Comicvorlage dennoch deutlich in der Darstellung von Jons Wahrnehmung der Zeit; hier ist das Medium Comic dem Medium Film in der Perspektivendarstellung überlegen. "Man of Steel"s räumliche Abhebung ist jedoch stark an die Wahrnehmungsgeschwindigkeit gekoppelt, somit gelingt dem Film etwas rein *Filmisches*, etwas, was kein anderes Medium so darzustellen in der Lage wäre (behaupte ich mal ganz großspurig; man darf mir gerne Gegenbeispiele präsentieren).
- Hat sich im Heimkino sogar noch besser als im Kino angefühlt. Irgendwann habe ich bei jedem Schlag orgiastisch gezuckt, wenn man durch Filmgenuss geistig "kommen" kann, hatte ich mehr als nur einmal multiple Orgasmen. Ich danke meinen Nachbarn, dass sie sich nicht beschwert haben; vielleicht ist die Wohnung aber einfach nur gut isoliert? Auf jeden Fall kann ich die Blu-ray jedem ans Herz legen, der seiner Anlage etwas Großes gönnen möchte.
- Wenn Kal-El "I grew up in Kansas, General. I'm about as American as it gets." sagt, höre ich unweigerlich "God exists - and he's American."
- Beim Screenshotaussuchen merke ich, dass es in dem Film eine Unmenge an Close-Ups von Händen gibt (tatsächlich wirkt auch die Terraforming-Maschine ein wenig wie eine Greifhand). Manchmal findet sich Hoffnung in den Händen, manchmal nur noch ihr Staub. Interessant.
Weiterschauen: Als Gegenbeispiel für perfekte "geerdete" Action empfehle ich heute The Last Stand von Kim Jee-Woon; wer weitere Filme sehen möchte, dessen Bilder die gängige Wirkung überschreiten, kommt an Cuarons Gravity nicht vorbei (alle anderen eigentlich auch nicht); ansonsten lohnen sich Snyders Hauptwerke 300, Watchmen und Sucker Punch für den aufgeschlossenen Zuschauer eigentlich immer (Dawn of the Dead und die Guardians müsste ich selbst noch einmal sehen).

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